Ich wollte nie, nie Frauen in eine derartige Situation bringen
Themenwoche “Gewalt in der Geburtshilfe”, lest hier worum es uns dabei geht.
Tag 5
Ich war schon über 25 Jahre Hausgeburtshebamme, als ich zusätzlich zu den Hausgeburten eine Belegstelle in einer renommierten Großstadtklinik annahm. Ich arbeitete zusätzlich zur Hausgeburtshilfe in der Praxis eines befreundeten Gynäkologen. Ich erhoffte mir mit dem Angebot der Begleitung als Beleghebamme eine Ergänzung für Frauen, die keine Hausgeburt wollten. Die favorisierte Klinik versprach meinen geburtshilflichen Wegen am ähnlichsten zu sein und ich freute mich ernsthaft und ehrlich drüber, endlich mal mit jemandem zusammen im Dienst zu sein, sich austauschen zu können, sich zu ergänzen oder, sich einfach nur anzulächeln, wenn man sich auf dem Flur begegnete.
Maikes Geburt
Kurz vor irgendwelchen Feiertagen hatte Maike Termin. Maike war alleinstehend und hatte schon alle Zelte in der Stadt abgebrochen, weil sie in ihre Heimatstadt zurück wollte. Lediglich die Geburt wollte sie noch hier abwarten. Die Schwangerschaft verlief gut und problemlos, ich kannte sie seit ein paar Monaten aus der Vorsorge. Sie wollte mich nicht als Beleghebamme in Anspruch nehmen, war aber in “meinem Beleghaus“ zur regulären Geburt angemeldet.
An einem Feiertag bekam ich einen Anruf aus dem Kreißsaal. Die Patientin Maike wäre seit heute Nacht da und wünsche sich, dass ich nun doch komme. Es wäre nicht ganz einfach für sie aber die Geburt ginge gut voran. Als ich ankam, fragte ich nach diversen Einzelheiten und die Kolleginnen erzählten mir, was sie schon alles versucht hätten, um Maike zu unterstützen. Insgesamt ergab sich das Bild einer Frau, die alles ablehnte, was man ihr angeboten hat. Sie wollte aus eigener Kraft gebären.
Maike war im Bett und es lief ein CTG, als ich ins Zimmer kam. Wie sich herausstellte, war die ärztliche Anordnung, dass sie im Bett liegen zu bleiben habe, da es kein zusammenhängendes CTG gab, weil die Frau „so unruhig“ war. Es ging ihr schlecht und sie hatte sich in den vielen Stunden die sie nun schon im Kreißsaal war x-mal in hohem Bogen übergeben. Für mich ein Zeichen von Angst, ohne zu wissen, um was es dabei ging. Ich kannte sie zu wenig, um zu wissen, was sie umtrieb, versicherte ihr aber bei ihr zu bleiben und sie zu unterstützen, so gut ich konnte.
Sie hatte sich offensichtlich schon die ganze Nacht vehement gegen jeglichen Versuch ihr medikamentös Erleichterung zu verschaffen gewehrt. Grundsätzlich war ich ihrer Meinung und versuchte auch die Ärztin davon zu überzeugen, dass Maikes Entscheidung so sein darf, dass es bislang keiner medikamentösen Intervention bedarf. Ich machte deutlich, dass ich ausreichend Vertrauen in meine Fähigkeiten hatte, diese Frau zu begleiten und zu führen und vor allem vertraute ich auf die natürliche Fähigkeit der Frau, ihr Kind aus eigener Kraft zu gebären.
Nach allem, was ich nun von ihr erfuhr, war sie ein Fall für „sofort nach Hause gehen“ und dort entbinden. Oder in eine andere Klinik gehen, da sie keinerlei Vertrauen mehr in das Personal dieser Klinik hatte. Ich teilte Maike unmissverständlich mit, wie ich ihre Situation einschätzte, dass ich aber die Entscheidung das Krankenhaus zu verlassen nicht treffen kann, dass sie das selbst tun muss. Ich wünschte ihr, dass sie sich erst einmal erholen und dann eventuell sogar in eine andere Klinik gehen könnte, da sie mittlerweile alle außer mir gegen sich aufgebracht hatte. Das war auch ihr Impuls, dem sie leider nicht gefolgt ist.
Machtkämpfe mit Ärzten waren Neuland für mich
Die Ärztin, der ich immer noch vollstes Vertrauen entgegen brachte, drängte mich mehr und mehr ihr eine PDA schön zu reden, was mir grundsätzlich widerstrebte und ich lange ablehnte, mit dem Hinweis auf das Recht der Frau dies anders zu entscheiden. Ich widerstand dem Anliegen, weil ich den Willen der Frau respektierte. Es begann ein Machtkampf, den ich weder wollte, noch als solchen sofort erkannte. Ein Machtkampf, den ich – möglicherweise stellvertretend für die Frau – mit der Ärztin ausfocht. Als Hausgeburtshebamme hatte ich mir diesbezüglich doch ein weiches Kissen gewählt. Ich war immer die Fachfrau bei einer Geburt und musste mich allenfalls mit Kolleginnen oder Schülerinnen ins Einvernehmen setzen, mal von den Eltern abgesehen. Machtkämpfe mit Ärzten während einer Hausgeburt hatte ich so nie erlebt.
Um einen Kaiserschnitt zu vermeiden, besprachen wir die Möglichkeit einer PDA
Als der Nachmittag zu Ende ging, erkannte ich, dass diese Frau ihr Kind so nicht bekommen würde. Es änderte sich meine innere Widerstandshaltung und ich begann mit einer PDA zu liebäugeln, denn alles war besser als eine Sectio. Ich hatte inzwischen Angst um das Kind, das diesen lang andauernden Kampf der Mutter bislang mitgemacht hatte, doch mir und allen anderen war klar, dass diese Zeit begrenzt ist und es dann durchaus sehr schnell zum Kaiserschnitt kommen könnte. Ich besprach mich mit Maike und sie erbat sich Bedenkzeit. Am Abend willigte sie letztlich ein und alles wurde vorbereitet. Dann ging alles sehr schnell.
Ich bin eine Hebamme die Frauen gerne und oft stehend oder kniend entbinden lässt und diese Haltung als absolut ideal erlebt, gerade bei einer ersten Geburt. Die Kinder rutschen mit der Wehe tiefer und die Frauen beginnen von sich aus mitzuschieben. Frauen wissen einfach was zu tun ist wenn es so weit ist und wenn man sie lässt.
Nach dem Setzen der PDA eröffnete sie in kürzester Zeit
Maike konnte entgegen ihrem Wunsch nicht stehen und wir versuchten es auf dem Hocker, was leider nicht funktionierte. Nun lag sie auf dem Rücken und der Oberarzt, der inzwischen das Ganze leitete, gab der Assistenzärztin vor, was zu tun sei. Er kristellerte und die Ärztin sollte den Dammschnitt schneiden, sobald der Kopf weit genug sichtbar sei, damit er dann das Kind von oben herausdrücken könne.
Dieses Vorgehen hatte nichts mehr mit dem zu tun, was ich als Hausgeburtshebamme richtig finde und zu Hause umsetze. Aber ich war hier nicht die, die das noch entscheiden durfte. Der Arzt fing an mit der nächsten Wehe zu kristellern, also unter dem Einsatz des Unterarms als Hebel – in Verbindung mit dem gegenüberliegenden Einstecklacken – den Bauch von oben am Fundus in Richtung Geburtskanal zu drücken und somit das Kind darin ebenfalls nach unten zu schieben. Maike schrie und bei einer weiteren Wehe biss sie den Oberarzt völlig von Sinnen in den Arm. Er schrie auf und wehrte sich handgreiflich, um seinen Arm freizubekommen. Wir alle waren erschrocken über die entstandene Situation.
Maike entschuldigte sich sofort und wurde regelrecht kleinlaut, was ich bedauerlich fand, denn es war eine absolute Notlage, in der sie in Notwehr sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gewehrt hatte. Damit war der Druck aus der Situation genommen. Und Maikes Kind wurde nun mit ihrer aktiven Hilfe halbwegs sanft und Damm intakt geboren.
Ein Gespräch über den Geburtsverlauf gab es nicht
Erst nach der Geburt lernten wir uns besser kennen. Später, im Verlauf des Wochenbettes erfuhr ich einiges aus Maikes Leben und über die Hintergründe ihrer Angst und Abwehr. Hätte ich sie besser gekannt, wäre es vielleicht anders gelaufen. Hätte –wäre – könnte.
Einige Monate später wurde ich vom Chefarzt der Station zu dieser Geburt befragt. Ohne dass ich den Inhalt ihres Briefes kannte, sollte ich Stellung nehmen zu den Anschuldigungen und Vorwürfen einer von ihr gefühlten Vergewaltigung. Ich wusste, dass der Oberarzt ein sehr sympathischer, friedvoller und zugänglicher Mensch ist, konnte aber nicht umhin die Gewalt in dieser Geburt zu bestätigen. Wenn sie es so erlebt hat, hat sie es so erlebt, egal wie wir das erlebt haben und erst einmal auch unabhängig davon, was dazu geführt hat. Da es unter uns Kreißsaalpersonal kein Gespräch darüber gab, was und warum diese Geburt so verlaufen war, schlug ich vor, mit allen Beteiligten gemeinsam ein Gespräch zu führen oder eine Supervision zu besuchen, damit es künftig besser gehen kann. Auch ein gemeinsames Gespräch mit Maike konnte ich mir vorstellen, um zu schauen, was da schief gelaufen ist.
Maike warf mir vor, ihr nicht beigestanden zu haben
Kurz darauf bekam ich einen Brief von Maike, in dem sie mir mitteilte, dass sie die Klinik angeschrieben hatte und sich über den Geburtsablauf und die Behandlung seitens der Ärzte beschwert hat. In diesem Brief war ich persönlich angesprochen. Sie bezichtigte mich der Beihilfe zur Vergewaltigung und Nötigung unter der Geburt. Wenn auch nicht als aktive Täterin dann doch passiv, indem ich ihr nicht beigestanden habe. Maike warf mir vor, dass ich mich nicht ausreichend gegen die Ärzte gewehrt hätte und nicht klar genug meine Position durchgesetzt hätte.
Ich wollte nie, nie Frauen in eine derartige Situation bringen. Deshalb mache ich Hausgeburten – auch deshalb. Ich fühlte mich schuldig und unwürdig diese Arbeit weiterhin zu tun. Wenn es das ist, was ich bewirke, dann wollte ich nicht mehr als Hebamme arbeiten. Dieser Vorwurf hat mich zutiefst erschüttert. Auch ich bin völlig traumatisiert aus dieser Geburt gegangen und habe lange gebraucht, mich wieder zu ordnen und zu heilen.
Heute schaue ich nüchtern auf die Beleghebammentätigkeit. Ich habe wieder aufgehört damit, weil ich weiß, dass Geburt auch anders gehen kann, als die vorherrschenden Praktiken in diesem Krankenhaus.
Anonym
(die Verfasserin ist HappyBirthday e. V. bekannt)
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